Wie gehen Kinder und Jugendliche damit um, wenn Mama oder Papa durch die Nebenwirkungen der Chemotherapie ihre Haare verlieren? Seit 1 1/2 Jahren betreue ich im Projekt Friesennest des Haus Leben Leipzig ein 14 jähriges Mädchen, dessen Mutter Ende Oktober 2014 nach einem vierten Rezidiv (Brustkrebs) relativ schnell verstarb. Die Erkrankung der Mutter begleitete das Leben des Mädchens seit seinem 2. Lebensjahr. Von Anfang an wurde in der Familie nur sehr wenig über die Erkrankung der Mutter gesprochen.
Beim zweiten Rezidiv war das Mädchen 7 Jahre alt, sie verbrachte damals drei Wochen der Sommerferien bei ihren Großeltern. Als sie von der Mutter abgeholt wurde, hatte diese plötzlich keine Haare mehr, Informationen darüber flossen spärlich. Das Mädchen spürte jedoch, dass etwas nicht stimmte, fühlte sich ausgeschlossen und machte sich selbst Gedanken darüber. Gleichzeitig hatte die Mutter häufig Rückenschmerzen und nahm viele Tabletten, so dass das Mädchen annahm, dies könnte der Grund für den Haarverlust sein.
Im Sommer des Jahres 2014 nun, nachdem sie zum vierten Mal mit erleben musste, wie bei der Mutter die Haare durch die Chemotherapie ausfielen, thematisierte sie dies unter kunsttherapeutischer Anleitung im Friesennest im Haus Leben Leipzig mit einer sehr schönen Portraitserie von ihrer Mutter.
Sie zeichnete mit Filzstiften und Aquarellfarben die verschiedenen Stadien des Haarverlustes und wie sie gerne den kahlen Kopf ihrer Mutter mit einem phantasievollen Muster bemalt hätte. Sie gab dieser Bildserie den Titel „SCHÖN“.
Sie wollte mit ihren Zeichnungen zum Ausdruck bringen, dass sie ihre Mutter auch ohne Haare bzw. mit kurzen Haaren sehr schön und gut aussehend fand. Ihre Mutter andererseits brauchte natürlich Zeit, um ihre Gefühle der Entblößung und Verletzung durch den Haarverlust zuzulassen und zu akzeptieren.
Schon vor dem Tod der Mutter stimmte das Mädchen einer Veröffentlichung dieser Zeichnungen gern zu. Danach war ihr die Veröffentlichung ein wichtiges eigenes Anliegen. Kinder und Jugendliche, deren Mütter oder Väter an Krebs erkranken, benötigen einen offenen Umgang mit dieser bedrohlichen Wirklichkeit.
Sie bemerken sehr schnell, wenn in ihrer familiären Situation etwas nicht stimmt. Ihre Phantasien und diffusen Ängste, mit denen sie häufig auch noch allein gelassen werden, sind oft schlimmer als ihre Aufklärung über eine traurige Wahrheit. Uninformiert und nicht einbezogen fühlen sie sich ausgegrenzt, nicht wichtig und ziehen ggf. falsche Schlüsse aus ihren Beobachtungen.
Gewissheit, Unterstützung und Begleitung stärken das Selbstbewusstsein insbesondere von Kindern und Jugendlichen und insgesamt die Potentiale aller Familienmitglieder zu Bewältigung dieser schwierigen Situationen. Besonders bei der Krebserkrankung zeigt sich, wie wichtig die offene, wahrheitsgemäße und altersgerechte innerfamiliäre Kommunikation über alle Fragen der Erkrankung und der emotionale Austausch darüber sind.
Diese Bilder sind sehr schön, wenn nur nicht der Anlaß so traurig wäre. Es ist so gut zu wissen, dass Menschen wie dieses Mädchen (leider weiß ich ihren Namen nicht) bei Ihnen jemanden finden, der ihnen bei der Bewältigung des Schmerzes beisteht. Bitte machen Sie weiter so. Dem Mädchen halte ich die Daumen und wünsche ihm alles erdenklich Gute für ihr Leben!