Ketogen Essen gegen Krebs? Ein Experteninterview

tumblr_nihe64wWNk1u8dzj8o1_1280_800x600_smallHeute geht man davon aus, dass ca. 30 Prozent aller Krebserkrankungen im Zusammenhang mit unserer Ernährung stehen. Nobelpreisträger Otto Warburg beschrieb bereits in den 1920er Jahren die Tatsache, dass Krebszellen ihre Energiegewinnung von der natürlichen Zellatmung auf Gärung umgestellt haben. Die Gärung erzeugt Milchsäure, die den Krebszellen ihre aggressiven Eigenschaften verleiht. Erst dadurch erreichen Krebszellen ihre verheerendste Eigenschaft, die wir umgangssprachlich als „bösartig“ bezeichnen: sie können zerstörend in gesundes Gewebe eindringen.

Die ketogene Diät ist ein Ansatz, über unsere Ernährung das Wachstum und die Therapiefähigkeit von Krebszellen zu beeinflussen sowie die Standardtherapien gezielt zu unterstützen. Den Krebszellen werden dabei Zucker als Treibstoff der Gärung sowie möglichst viele Nahrungsmittel vorenthalten, aus denen unser Körper Zucker herstellen kann. Der Begriff „Diät“ ist allerdings etwas irreführend. Im Englischen bedeutet diet ganz allgemein Ernährung und Ernährungsweise, hat also zunächst nichts mit den konkreten Zielen einer bestimmten Ernährungsform (bspw. dem Abbau von Körpergewicht) zu tun.

Wir haben die Ernährungsexperten Carola Dehmel und Dr. Dieter Möller um eine Einschätzung gebeten, was ketogene Ernährung ist und was sie kann.

Haus Leben: Ist die Bezeichnung ketogene Diät nicht etwas irreführend? Mit einer Diät verbinden wir im Alltag doch eher unser Bemühen, abzunehmen?

Dr. Dieter Möller: Diäten sind zunächst einmal eine bestimmte Ernährungsform. Sie können je nach Zusammensetzung und Kalorienmenge gestaltet werden, um ab- oder zuzunehmen oder die Symptome bestimmter Erkrankungen wie Gicht zu mildern.
Carola Dehmel: Ich würde es auch eher als Ernährung bezeichnen, denn „Diät“ bedeutet eben auch, die Ernährung ein Leben lang umzustellen, zum Beispiel bei Zöliakie, einer chronischen Erkrankung des Dünndarms. Sehr vereinfacht geht es auch darum, einen ausgeglichenen Säure-Base-Haushalt des Körpers zu erreichen. Besteht ein eher saures Milieu, dann sind die Voraussetzungen für eine Krebstherapie ungünstig. Unsere alltägliche Ernährung enthält oft zu viele säurebildende und zu sauer wirkende Nahrungsmittel, zu denen Zucker und Weißmehlprodukte gehören.

Haus Leben: Was bedeutet „ketogen“?

Dr. Dieter Möller: Es werden sogenannte Ketonkörper gebildet – das sind blutlösliche Abbauprodukte im Fettstoffwechsel, die sehr energiereich sind und eine Alternative zur Energiequelle Blutzucker (Glukose) darstellen – sie können sogar das Gehirn versorgen. Dies ist ein alter Überlebensmechanismus der Natur. Eine ketogene Situation ist ganz normal bei Hungerphasen, beim Fasten oder aber auch unter ketogener Ernährung mit sehr hohem Fettanteil, etwas Eiweiß und kaum Kohlenhydraten, respektive Zucker.
Carola Dehmel: Eine ketogene Diät ist eine fettreiche, eiweißangepasste und kohlenhydratarme Ernährung, wobei hier gesunde Fette zum Einsatz kommen. Man kann sie auch als sehr reduzierte Ernährung verstehen.

Haus Leben: Was kann ketogene Ernährung bewirken? Gibt es wissenschaftliche Belege dafür, dass diese Ernährung gegen Krebs wirksam sein kann?

Dr. Dieter Möller: Es gibt Studien, die eindeutig den Einfluss auf den Stoffwechsel von Tumoren zeigen. Aktuell laufen weitere Studien auch in Deutschland. Hier sollte viel mehr geforscht werden. Dafür sind auch deutlich mehr Mittel erforderlich.

Haus Leben: Wenn es ein Restaurant gäbe (nennen wir es einfach „Keto“), das sich auf ketogene Ernährung spezialisiert hat. Was bekämen wir dort zu essen?

Dr. Dieter Möller: Eine ketogene Ernährung kann sehr vielseitig und abwechslungsreich sein. Wie wäre es zum Beispiel mit einer Avocado-Thunfisch-Creme, leckerem Lamm-Gemüse-Curry oder Pizza mit Blumenkohlboden? Zum Nachtisch könnte es ein Dessert aus vollfettem griechischem Joghurt mit Zimtgewürz und Nußstückchen geben.
Carola Dehmel: „Ketogen“ wird oft fälschlich mit Vorstellungen wie „einseitig“ und „wenig schmackhaft“ verbunden. Ich würde aber bei der Bezeichnung der Speisen darauf achten, keine Namen zu verwenden, mit denen die Menschen ein ganz bestimmtes Geschmackserlebnis verbinden. Wenn etwas „Pizza“ heißt, dann hat man eine klare Vorstellung davon, wie sie aussieht, riecht und schmeckt. Eine Pizza-Alternative mit gleichem Namen könnte den Gast enttäuschen – einfach nur, weil er zwar etwas sehr Gutes bekommt, es aber anders schmeckt, als von ihm erwartet.

Haus Leben: Wäre das „Keto“ ein Ort lustvollen Essens oder bedeutet „ketogen“ eher Verzicht auf Genuß?

Dr. Dieter Möller: Da Fette oder Öle die wesentlichen Geschmacksträger sind, gewinnen wir eher an Geschmack und Genuß. Auch Kuchen oder Desserts kann man sehr lecker ketogen zubereiten, zum Beispiel mit Kokos- oder Mandelmehl.
Carola Dehmel: Man sollte dabei aber immer darauf achten, Fettreiches mit Umsicht zu genießen. Es sollte gut verpackt sein im Tagesplan und in den einzelnen Speisen.

Haus Leben: Warum, bzw. wann, sollte man ins „Keto“ gehen? Zur Krebsvorbeugung, während einer Krebstherapie, oder danach?

Dr. Dieter Möller: Gezielt kurzfristig einige Tage vor einer Krebstherapie, insbesondere bei einer Chemo- oder Strahlentherapie, sowie ein bis zwei Tage danach scheinen den größten Effekt zur Unterstützung zu haben. Zur Vorbeugung und Nachsorge würde ich eine moderat kohlenhydratarme Ernährung empfehlen, zu Beispiel nach LOGI*.

Haus Leben: Wäre das „Keto“ ein 24h-Restaurant, in dem wir alle Mahlzeiten einnehmen müssten, um einen Effekt zu erzielen, oder darf es zwischendurch auch mal etwas anderes sein?

Dr. Dieter Möller: Will man ketogen sein, dann ist es ein 24h-Programm – es sei denn, ich treibe intensiven Sport, wo ich zusätzliche Kohlenhydrate direkt verbrenne.
Carola Dehmel: Sport sollte generell getrieben werden, denn Bewegung ist wichtig für einen gesunden Menschen, egal welchen Alters. Vielleicht muss man nicht immer von „Sport“ sprechen, denn das schreckt viele Menschen ab oder es führt einfach zu Mißverständnissen. „Bewegung“ wäre auch ein guter Begriff, denn wer bspw. wandert oder ausgedehnte Spaziergänge unternimmt, der wird dies vielleicht gar nicht als „Sport“ ansehen, obwohl er doch genau das Richtige für seine Gesundheit tut.

Haus Leben: Was gäbe es im „Keto“ zu trinken? Kann man sich ketogen ernähren, und trotzdem alles trinken? Wie steht es mit einem Glas Wein zum Essen?

Dr. Dieter Möller: Tee, Kaffee, Wasser – aber keine Fruchtsäfte oder Limonaden. Die Getränke müssen auf das Gesamtkonzept abgestimmt sein – ein Glas trockener (!) Wein ist erlaubt!
Carola Dehmel: Abraten muss man von Limonaden. Sie sind generell durch Ihren hohen Zuckergehalt nicht gesundheitsförderlich. Besser ist es, 100prozentige Fruchtsäfte sehr stark mit Wasser zu verdünnen, falls jemand kein pures Wasser mag.

Haus Leben: Wenn wir ketogen essen wollen, aber keine Lust auf Restaurant haben: wie machen wir das? Gibt es fertige ketogene Nahrungsmittel, wie kann man diese sinnvoll mit einer „normalen“ Ernährung kombinieren?

Dr. Dieter Möller: Es gibt sehr viele Lebensmittel und Zutaten, die man zum Kochen verwenden kann – sehr schöne Rezeptbücher helfen bei der Auswahl und der Erstellung von Gerichten für zuhause oder auch für unterwegs. Als Mahlzeitenersatz, auf Reisen oder am Arbeitsplatz können auch bestimmte Trinknahrungen dienen, die auch beim Verfeinern oder Anreichern von Suppen etc. verwendet werden können.

Haus Leben: Nun können wir nicht den ganzen Tag im „Keto“ verbringen. Welche Erfahrungen haben Sie mit ketogener Ernährung im Alltag?

Carola Dehmel: Eine ketogene Ernährung kann man im Alltag eigentlich recht leicht umsetzen, wenn man weiß, wie es geht. Das größte Problem ist oft, ketogene Ernährung in den Speiseplan der Familie zu integrieren. Das ist leider ein Grund dafür, dass viele Patienten nach einiger Zeit wieder auf ihre gewohnte Ernährungsform umstellen. Deshalb bieten wir im Haus Leben Leipzig und Haus Leben Delitzsch Ernährungsberatungen und Kochkurse an. Dort vermitteln wir an ganz praktischen Beispielen, wie sich eine ketogene Ernährung im Alltag auf Dauer umsetzen lässt. Im Haus Leben Delitzsch hat gerade wieder ein Kurs begonnen. Wer sich dafür interessiert, kann sich telefonisch nach freien Plätzen erkundigen.

Carola Dehmel, 2. v.r.

Carola Dehmel, 2. v.r.

Carola Dehmel ist Diätassistentin am Klinikum St. Georg Leipzig, Leiterin verschiedener Kochkurse sowie Buchautorin

Dr. Dieter Möller

Dr. Dieter Möller

Dr. Dieter Möller ist Biologe und Experte für Ernährung und Energiestoffwechsel

*LOGI (LOw Glycemic and Insulinemic Diet) bessert im Gegensatz zu fettreduzierten, kohlenhydratbetonten Kostformen die Stoffwechselsituation.

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.