Viele Krebspatienten erleben während oder (noch häufiger) nach der Therapie Phasen von tiefer Traurigkeit. Nicht allen gelingt es, diese Traurigkeit für sich anzunehmen und als das zu erkennen und zu akzeptieren, was sie im Wesentlichen ist: ein Zeichen von körperlicher und geistiger Erschöpfung als Folge der Krankheit und der Therapie sowie der durchlittenen Anstrengungen und Ängste.
Vor einigen Tagen hielt ich auf einem Patientenkongress einen Vortrag über Psychologie, Kommunikation und Krebs. Im Anschluss sprach mich eine Besucherin an. Sie wäre nach ihrer Krebstherapie immer deprimiert, woran das wohl läge und was sie dagegen machen könne? Im Gespräch berichtete sie, dass sie mehr als 40 mal Chemotherapie und über 30 Bestrahlungen erhalten hatte. Ihr Knochengerüst war angegriffen, einige Wirbel der Wirbelsäule waren zusammengebrochen, weshalb sie unumkehrbar an Stöcken gehen musste. Sie litt sehr darunter, sich nicht mehr um ihre Enkel kümmern und nicht mehr wandern zu können, was sie so gern täte, denn sie liebe die Natur so sehr. Ich glaube, sie hatte nach der von ihr beschriebenen Tortour jedes Recht darauf, traurig und erschöpft zu sein.
Trauer und Erschöpfung werden oft mit Depression verwechselt. Depressionen sind im Allgemeinen durch einen Verlust der Fähigkeit zu Freude oder Trauer gekennzeichnet, die Betroffenen können auch nicht durch Zuspruch aufgemuntert werden. Sie leiden oft unter Antriebslosigkeit und emotionaler Distanzierung, was es für ihr Umfeld schwer macht, ihnen zur Seite zu stehen. Nichts davon war in diesem Gespräch zu spüren, denn die Patientin hatte ja Ziele und Wünsche, sie konnte sich im Augenblick nur nicht vorstellen, ob und wie sie diese in Zukunft erreichen könnte.
Vielen Patienten ist es unangenehm und peinlich, in einem Stimmungstief zu sein. Man hat die Krankheit überstanden und müsste sich doch eigentlich freuen und voller Tatendrang nach vorne schauen? Ist es normal, bin ich normal, wenn es mir jetzt trotzdem nicht gut geht? Ja, es ist normal und es ist okay. Traurig und erschöpft zu sein ist keine Schande, übrigens auch nicht für Männer! Wer nach einer Krebstherapie (der eigenen oder der eines nahe stehenden Menschen) traurig ist, der sollte diese Traurigkeit zulassen, zugleich aber auch überlegen, wie er ihr begegnen kann.
Dafür gibt es viele Möglichkeiten, bspw. durch psychoonkologische Betreuung (siehe auch hausleben.org), durch die Mitarbeit in einer Selbsthilfegruppe, durch Entspannungstechniken oder auch durch Medikamente. Hilfreich ist auch ein aktives soziales Umfeld, das den Betroffenen unterstützt und in den Alltag integriert. Bei länger andauernder Traurigkeit und Erschöpfung sollte auch geprüft werden, ob nicht vielleicht organische Ursachen vorliegen (bspw. ein Rezidiv, also eine erneute Krebserkrankung).
Eine Übersicht über Symptome und Handlungsmöglichkeiten finden Sie bspw. beim Krebsinformationsdienst am DKFZ Deutsches Krebsforschungszentrum.
Gerade hat die Bloggerin „Jenna Shotgun“ auf Twitter eine Diskussion zu diesem Thema ausgelöst: „Depressionen zu haben heißt nicht traurig zu sein. Es heißt im schlimmsten Fall, sich komplett leer zu fühlen und nichts mehr zu spüren“.