Ein Beitrag über unser Friesennest in der aktuellen MammaMia!

Auszug aus MammaMia! Das Brustkrebsmagazin, Heft 4/2015

Auszug aus MammaMia! Das Brustkrebsmagazin, Heft 4/2015

MammaMia! Das Brutskrebsmagazin hat in seiner aktuellen Ausgabe 4/2015 einen Beitrag von Dr. Stephan Mallik über die Betreuung der Kinder von Krebspatienten am Beispiel unseres Friesennests veröffentlicht. Den Text finden Sie demnächst auch auf der Seite mammamia-online.de.

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Wenn Mama oder Papa Krebs haben

Was ist mit Mama?
Nichts, mein Schatz. Sie ist nur etwas müde.
Aber warum verliert sie ihre Haare?
Mama ist ein bisschen krank, Du musst Dir aber keine Sorgen machen.
In der Schule haben sie gesagt, wenn Frauen eine Glatze kriegen, dann haben sie Krebs und an Krebs stirbt man. Stirbt Mama?
Nein, mein Schatz, Mama stirbt nicht.
Aber warum weint Ihr beide dann so oft?
Es ist nichts. Geh, und mal ein schönes Bild.

Was glauben Sie? Wie weit sollten Kinder einbezogen werden, wenn ein Elternteil an Krebs erkrankt? Wenn Eltern an Krebs erkranken, dann ist das auch für ihre Kinder eine besondere Belastung. Zugleich wirken die potentiell aus der Situation erwachsenden Probleme der Kinder auch auf die Situation der Eltern zurück.

Wie viele Kinder betroffen sind, kann man nur schätzen. Weil die Zahl der Krebserkrankungen in Deutschland steigt und zugleich das Durchschnittsalter zum Zeitpunkt der Erstdiagnose sinkt (jede zehnte Brustkrebspatientin ist bspw. jünger als 40 Jahre), dürfte die Anzahl der Familien steigen, in denen Kinder die Krebsdiagnose eines Elternteils miterleben. Man schätzt, dass in Deutschland jedes Jahr ca. 200.000 Kinder und Jugendliche betroffen sind.

Ob sie aus dieser Situation gestärkt oder traumatisiert hervorgehen, hängt von vielen Faktoren ab. Kinder und Jugendliche sind – abhängig von ihrem Alter und der jeweiligen familiären Situation – sehr unterschiedlich in der Lage, diese besondere Belastung zu bewältigen. Im günstigsten Falle reifen sie an der Situation und entwickeln besondere soziale Kompetenzen, bspw. durch die Übernahme von mehr Verantwortung in der Familie, bspw. für die kleineren Geschwister, für den erkrankten Elternteil und für den Haushalt.

Viele Kinder und Jugendliche jedoch leiden in dieser Situation an Ängsten mit nachfolgenden Problemen bis hin zu Verhaltensauffälligkeiten. Ohne Ansprechpartner für ihre Sorgen und Ängste können emotionale Überforderung und seelische Entwicklungsstörungen die Folgen sein. Häufig entwickeln sie eigene Abwehrmechanismen und sie ziehen sich aus Unsicherheit von ihren krebskranken Eltern, aber auch von ihrem Freundeskreis zurück. Sie verschließen sich und wollen nicht über die Krankheit ihrer Eltern sprechen, weil sie das Gefühl haben, dass nicht nur sie selbst, sondern auch ihre Familie, Freunde und Bekannten davon traurig werden. Da erscheint es einfacher, gar nichts mehr zu sagen und die eigenen Sorgen und den Kummer in sich zu vergraben. Auch Eifersucht kann eine Rolle spielen, wenn sich die Aufmerksamkeit der Familie und ihres Umfelds stärker auf die erkrankte Mutter oder den erkrankten Vater richtet. Wer fragt am Krankenbett eines Krebspatienten schon dessen Kind: „Und, wie geht es Dir?“ oder einfacher und besser (weil das Kind dann nicht abwägen muss, welche Antwort wohl die „richtige“ wäre) „Wie läuft es bei Deinem Fußballtraining, …?“

Oft entwickeln sie Scham- und Schuldgefühle, indem sie die Ursachen der Erkrankung bei sich selbst suchen. Klassisch ist das Beispiel eines Kindes, das von seiner Mutter in der Vergangenheit immer wieder ermahnt werden musste, bestimmte Aufgaben zu erledigen, bspw., sein Zimmer aufzuräumen. „Dass ich Dich immer wieder erinnern muss, macht mich ganz krank“, sagte die Mutter oft. Ist Mama jetzt krank geworden, weil ich so unordentlich war? Solche Schuldgefühle können zu einer prägenden Belastung werden, da Kindern und Jugendlichen in der Regel die Mechanismen zur Verarbeitung von Stresssituationen noch fehlen.

Der Leidensdruck der Kinder und Jugendliche in dieser Extrem-Situation (die sich über viele Jahre hinziehen kann) wird oft unterschätzt oder nicht ausreichend berücksichtigt, da die Eltern selbst existenziellen Ängsten und Unsicherheiten ausgesetzt und in ihrer Elternschaft stark eingeschränkt sind.

Die Folgen können sofort oder auch erst nach vielen Jahren eintreten. Mit den Freunden oder in der Schule läuft es nicht mehr so gut, die Kinder finden keine Zeit, Kraft oder Mut, an ihrem gewohnten Leben teilzunehmen, der Alltag wird zu einer ständigen Heraus-, manchmal auch zur Überforderung.

Dass viele Familien in dieser Situation überfordert sind, kann man ihnen nicht zum Vorwurf machen. Hauptsache ist, dass sie sich des Leidensdrucks der Kinder bewusst sind, Hilfe zulassen und damit – im positivsten Sinne – einen Teil der Last abgeben. Professionelle Angebote sind in Deutschland leider nicht überall zu finden, aber es gibt sie.

„Es gibt Situationen im Leben, da gerät alles ins Wanken. Wenn ein Elternteil an Krebs erkrankt zum Beispiel. Nicht nur die Erwachsenen, auch die Kinder leiden massiv unter der veränderten Lebenssituation und den damit verbundenen Ängsten. Aber: Es gibt (deutschlandweit) Angebote, die beiden Seiten helfen, die schwere und bedrohliche Zeit miteinander zu bewältigen.“ Mit dieser Zusammenfassung eröffnete eine Radiomoderatorin ihren Beitrag über das Friesennest im Haus Leben Leipzig, das seit 2008 Kinder und Jugendliche, in deren Familien ein Elternteil an Krebs erkrankt ist, psychologisch und therapeutisch in allen Phasen der elterlichen Erkrankung intensiv begleitet. Wenn ein Elternteil an Krebs stirbt, leistet das Haus Leben Leipzig auch Trauerarbeit.

Hier finden die Kinder einen kreativen, spielerisch gestalteten Zufluchts- und Bewältigungsort für ihre Bedürfnisse, ihre Trauer und ihre bewussten und unbewussten Ängste. Im Mittelpunkt stehen Entspannung und Experimentierfreude, die Wahrnehmung und der Ausdruck von Gefühlen, Wünschen und Fantasien, das Erleben und Erkennen der eigenen Stärken, Fähigkeiten und Fertigkeiten, die Bewältigung von Ängsten und Schuldgefühlen, der Austausch über die Krankheit Krebs, auch mit anderen betroffenen und interessierten Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen sowie die Entlastung der Eltern.

Wie läuft eine solche Beratung und Begleitungsphase ab? Das interdisziplinäre Team bietet den Familien kostenfreie Informationen, Beratung und Begleitung. Mütter, Väter und Angehörige werden dabei unterstützt, die Situation und möglicherweise auftretende Schwierigkeiten gemeinsam zu erfassen und als Familie ins Gespräch zu kommen: Über die Krankheit, über Wünsche, Ängste und Hoffnungen.

Im Mittelpunkt der Arbeit stehen die Kinder und Jugendlichen. Ihre Betreuung richtet sich immer nach der individuellen Situation. Dabei folgen einem Erstgespräch mit der Familie mindestens 6 Einzelstunden mit dem Kind. Die Therapie wird häufig über einen sehr langen Zeitraum fortgeführt, in Einzelfällen bis zu einem Jahr.

Es gehört zu den paradoxen Umständen unseres Gesundheitssystems, dass die Hilfe für Kinder von Krebspatienten kein Bestandteil des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenkassen ist. Diese treten erst ein, wenn sich bereits psychische Störungen manifestiert haben, doch so weit solle man es gar nicht erst kommen lassen. Spezialisierte Angebot sind deshalb an universitären Einrichtungen zu finden (deren Arbeit durch die Universität querfinanziert wird), hauptsächlich aber als Leistung von Vereinen, die ihre Arbeit aus Spenden und Fördermitteln finanzieren.

Nicht alle Familien benötigen in einer solchen Situation Hilfe. Aber wenn doch, dann sollten sie diese schnell und in hoher Qualität erhalten. Ein Verzeichnis von bundesweiten Angeboten bietet der Flüsterpost e. V. in Mainz (www.kinder-krebskranker-eltern.de). Weitere Informationen über das Haus Leben Leipzig sowie das Friesennest finden Sie hier: www.hausleben.org/friesennest, Telefon 0341 4442316.

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